
Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
„Twelve disruptions“
Der Krieg in der Ukraine bremst zunehmend
das Geschehen auf den
Weltmärkten ein. Eine McKinsey-
Studie hat zwölf makroökonomische
Problemkreise („Twelve
disruptions changing the world“)
definiert, die die globale Politik
und Wirtschaft über die aktuelle
Krise hinaus fordern werden.
Dazu zählen Energieversorgung,
Rohstoffe, Lieferketten, Preissteigerungen,
Deglobalisierung,
Nahrungsmittelknappheit, Cyber-
Attacken, Finanzsystem, Fluchtbewegungen
und Verteidigungsausgaben.
Die Studienautoren ziehen
folgendes Fazit: „Diese Störungen
beeinträchtigen das Leben und die
Lebensgrundlagen der Menschen
schon jetzt mit großer Wucht und
sollten Teil der Szenarienplanung
jedes Unternehmens sein. Und je
länger der Krieg andauert, desto
stärker und unvorhersehbarer können
diese Störungen werden.“ Das
Gros dieser geopolitischen Trends
mache Strategieanpassungen in
Unternehmen dringend erforderlich,
um diese nicht in ihrer Existenz
zu gefährden.
Beschaffungsprobleme
Der Auftragseingang der deutschen
Industrie ist im März, dem ersten
vollen Kriegsmonat, gegenüber Februar
um 4,7 % zurückgegangen.
Uneinheitlich zeigte sich der Export:
Während die Nachfrage außerhalb
der Euro-Zone um 13,2 % sank,
stiegen die Aufträge aus der Währungsunion
um 5,6 %. Die Inlandsnachfrage
war mit 1,8 % rückläufig.
Investitionsgüter wie Maschinen
brachen um 8,3 % ein. Die Auftragsreichweite
belief sich auf
rund acht Monate. Zunehmende
Sorgen bereitet die Tatsache, dass
die Unternehmen die Bestellungen
infolge von Beschaffungsproblemen
nicht termingerecht abarbeiten
können. Fast 80 % der deutschen
Industrieunternehmen klagen
derzeit über Lieferengpässe.
Außerdem explodieren die Kosten
für Rohstoffe und Vorprodukte,
die von den Verarbeitern je nach
Möglichkeit weitergegeben werden.
Der Anteil der Unternehmen,
die ihre Preise erhöhen wollen, war
laut ifo noch nie so hoch. Nicht
nur der Auftragseingang, sondern
auch die Produktion der deutschen
Industrie ist im März – laut Statistischem
Bundesamt – mit 3,9 %
eingeknickt
Über 7 % Inflation
Die Geldentwertung verkörpert
derzeit die mit Abstand größte Sorge
der Menschen in Deutschland.
Einer Untersuchung zufolge haben
40 % der Befragten die Inflation –
noch vor dem Ukraine-Krieg – auf
Platz 1 ihrer persönlichen Sorgenliste
gesetzt. Im April kletterte die
Teuerungsrate auf 7,4 %. Ebenfalls
im April stiegen die gewerblichen
Erzeugerpreise gegenüber dem
Vorjahresmonat um – sage und
schreibe – 33,5 %, was den höchsten
Preissprung seit Beginn der
Erhebung im Jahr 1949 markiert.
Verschärft wird die allgemeine Verunsicherung
dadurch, dass die BIPWachstums
Prognosen in immer
kürzeren Abständen nach unten
korrigiert werden. So hat die EUKommission
die Voraussage des
europäischen Wirtschaftswachstums
2022 kürzlich von 4 auf 2,7
% gesenkt und gleichzeitig die Inflations
Prognose fast verdoppelt
auf 6,1 %. Dass die EU-Kommission
die Geldentwertung nicht als
kurzfristiges Phänomen bewertet,
zeigt sich an der Erwartung, dass
die durchschnittliche Teuerung in
den Euro-Ländern 2023 sogar auf
6,8 % steigen wird. Schon heute
befürchtet ein Drittel der Bundesbürger,
wegen steigender Preise
den eigenen Lebensstandard einschränken
zu müssen. Dass eine
Inflation von offiziell über 7 % bei
Null- oder Minus-Zinsen de facto
eine schleichende Vernichtung der
Anlagevermögen bedeutet, wird
in der politischen Diskussion meist
vernebelt.
Merkels Altlasten
Die „Wirtschaftswoche“ dekorierte
ihre Titelgeschichte „Das fatale
Erbe der Ära Merkel“ im Mai mit
dem Bild einer zerfallenden Büste
der Altbundeskanzlerin. Im Innenteil
liest sich der Vorspann des Artikels
unter der Überschrift „Ende
der Legende“ so: „16 Jahre lang
steuerte Angela Merkel das Land
stoisch durch alle Krisen. Doch der
Preis der ruhigen Raute war hoch.
Die Bundeswehr: marode. Die
Russlandpolitik: naiv. Die Zukunft:
unbearbeitet. Jetzt wird die Rechnung
beglichen.“ Und als Analyse
fasst die Redaktion im Rückblick
zusammen: „Deutschland merkelte
sich ‚alternativlos‘ und auf
hohem Niveau durch die Welt, an
allen Reformbedarfen vorbei, über
alle Innovationslücken und Lebenslügen
hinweg. Ach, es waren
glückliche Jahre mit ihr. Und verlorene.
Die ehemalige Kanzlerin war
eine Meisterin des Moments, eine
Chefdirigentin der Gegenwart. Sie
hat das Kanzleramt umgebaut zur
Nichtregierungsorganisation. Und
die Deutschen im guten Gefühl gewogen,
geborgen zu sein, mochten
sich die Wogen der Weltpolitik
auch noch so hoch türmen. Merkel
war eine Trutzburg: Fürchtet
euch nicht, ihr habt ja ‚Mutti‘. Die
Kraft, die Merkel als Krisenmanagerin
verbrauchte – sie fehlte ihr
für perspektivisches Regieren. Sie
sprach vom ‚Neuland‘ und bewirtschaftete
die Digitalisierung maximal
halbherzig. Sie beschwor die
Kampfkraft der Nato – und behandelte
die Bundeswehr wie ein Relikt
des Kalten Krieges. Sie verehrte
die Vereinigten Staaten – und
band die Bundesrepublik eng und
enger an China. Sie ließ sich als
Klimakanzlerin feiern – und vertrödelte
die Energiewende. Sie genoss
ihre Stellung als Grande Dame in
Europa – und lieferte Deutschland
Putins Gas- und Ölexporten aus.
Das ist ihr Erbe.“
Triple-Rezession
Vor einer Triple-Rezession, einer
parallelen Rezession der drei wichtigsten
Wirtschaftsmächte USA,
China und Euro-Zone, noch in diesem
Jahr warnt der Harward-Ökonom
Kenneth Rogoff. Zwar gebe
es unterschiedliche Ursachen für
die möglichen Abstürze, gleichwohl
steigen – so Rogoff – „die
Risiken eines weltweiten rezessionären
Dreiklangs derzeit von Tag
zu Tag“.
66 RAS | JUNI 2022 www.ras-online.com