
Marktplatz Deutschland
Zeitenwende in der Wirtschaft
Als Unternehmen jetzt den
Reset-Knopf drücken?
Ukrainekrieg, Corona, Klimawandel,
Lieferkettenprobleme – was viele
Unternehmen aktuell erleben, ist eine
Zeitenwende. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle
radikal überdenken
und zum Teil neu erfinden, denn: Viele
alte Wahrheiten gelten nicht mehr. Es
bedarf eines „Reset“ bzw. Neustarts
auf allen Ebenen, meint Dr. Jens-Uwe
Meyer, CEO der Innolytics AG – auch in
seinem neuen Buch.
In den zurückliegenden zwei Jahren mussten
viele Unternehmen eine Krise nach der anderen
meistern – Krisen, die den Wandel der
Wirtschaft massiv beschleunigten:
– Ende März 2020. Der erste corona-bedingte
Lockdown. Plötzlich wird Digitalisierung für
Unternehmen überlebenswichtig. Seitdem
nutzen Beschäftigte, Lieferanten, Kunden
und Partner neue Tools im Alltag, haben
neue Arbeitsweisen erlernt und neue digitale
Kenntnisse erworben. McKinsey
schätzt, dass durch Corona die digitale
Transformation um fünf bis sieben Jahre
beschleunigt wurde.
– Herbst 2021. In vielen Unternehmen funktioniert
der Nachschub nicht mehr, denn
die internationalen Lieferketten sind zum
Teil bis heute unterbrochen. Tausende von
Schiffen voller Waren dümpeln vor den Häfen
herum, da diese bereits mit Containern
vollgestellt sind, die niemand mehr abtransportiert.
Zudem werden die Auswirkungen
des Fachkräftemangels deutlicher spürbar
als je zuvor.
– Februar 2022. Russland greift die Ukraine
an. Plötzlich haben der Bau von Windrädern
und die Energiewende auch eine sicherheitspolitische
Relevanz. Die Abhängigkeit
von fossilen Energieträgern gilt es
nicht mehr rein aus klima-, sondern auch
aus wirtschaftspolitischen Gründen radikal
zu verringern.
Dr. Jens-Uwe Meyer ist Autor des Buchs „Reset
– Wie sich Unternehmen und Organisationen neu
erfinden“, erschienen im April 2022 im Verlag
BusinessVillage.
Diese Schlaglichter beschreiben die Situation
im Jahr 2022. Die Digitalisierung, der
Fachkräftemangel und der forcierte Umstieg
auf eine klimaneutrale Produktion sind drei
Trends, die sich wechselseitig verstärken. Hieraus
resultiert ein Turbowandel, der fast alle
Branchen erfasst. Bis 2030 – so die Prognose
– entsteht zumindest in den Industrienationen
eine völlig neue Wirtschaft: digital,
weniger abhängig von Fachkräften und klimaneutral.
Denn mit einer Optimierung des
Bestehenden allein können die Unternehmen
in dem radikalen Wandel nicht bestehen. Alles
muss auf den Prüfstand: Von A wie der
Arbeitsplatzgestaltung bis hin zu Z wie den
Zukunftsstrategien, von denen die Unternehmen
ihr Handeln leiten lassen.
Müssen Unternehmen sich neu
erfinden?
Bei vielen, insbesondere mittelständischen
Unternehmen in der DACH-Region beruhte
ihr Erfolg bisher darauf, dass sie in den vergangenen
Jahrzehnten das Bestehende immer
weiter optimierten. Die Folge: eine weltweite
Spitzenqualität. Doch wie das Beispiel solcher
allgemein bekannter Unternehmen wie Siemens
zeigt, genügt das für die Märkte der
Zukunft nicht mehr. Über Jahrzehnte baute
Siemens zum Beispiel das nötige Know-how
auf, um weltweit die besten Gasturbinen zu
entwickeln und zu produzieren. Doch wie zukunftsfähig
sind diese Anlagen noch? Längst
wird in dieser Sparte Personal abgebaut. Zugleich
befindet sich der Konzern in einer radikalen
Transformation – weg vom Ausrüster,
hin zum Softwareunternehmen.
Ein weiteres Beispiel: Der Erfolg von Microsoft
beruht darauf, dass sich das Unternehmen
– anders als IBM – in den vergangenen
Jahren immer wieder neu, erfolgreich erfand.
Vergessen sind solche Flops wie die Suchmaschine
Bing, der Versuch, den mobilen
Markt mit einem eigenen Betriebssystem zu
erobern, und das Betriebssystem Windows
Vista, das bis heute als eine der größten Pleiten
der Firmengeschichte gilt. Microsoft hat
es geschafft, Fehlschläge zu verkraften, die
richtigen Lehren daraus zu ziehen und die
eigene Rolle immer wieder neu definieren.
Mit dem Clouddienst Azure und Microsoft
Teams gehört das Unternehmen jetzt zu den
Vorreitern der digitalen Ökonomie. Auch Netflix
erfand sich immer wieder neu: Aus dem
DVD-Verleiher wurde ein Streamingdienst. Es
gibt zahlreiche Beispiele von Unternehmen,
die eine solche Transformation bzw. Metamorphose
durchliefen oder sich gerade in
dem Prozess befinden, sich neu auf die Märkte
von morgen aufzurichten. Dies ist, sofern
die Bereitschaft hierzu besteht, möglich, denn
trotz aller Unsicherheiten haben die zentralen
bzw. fundamentalen Veränderungen eine
klare Richtung: Die Wirtschaft im Jahr 2030,
die wir heute schon am Horizont sehen, wird
weitgehend digital, grün bzw. umwelt- und
klimaschonend und automatisiert sein.
Erforderlich: Ein Reset auf vier
Ebenen
Um in diesem Umfeld noch ein relevanter
und somit erfolgreicher Player zu sein, be-
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