
Blickwinkel
Denk-Anstöße
Dietrich W. Thielenhaus
Der Autor dieser Kolumne ist als
Inhaber der Marketing-Agentur
Thielenhaus & Partner GmbH
(Wuppertal) beruflich nicht nur mit
dem SHK-Bereich, sondern auch
mit zahlreichen anderen Branchen
vertraut. Für die Leser der RAS formuliert
er aus seinen Erfahrungen,
Einblicken und Erkenntnissen allmonatlich
„Denk-Anstöße“, die
über den Tag hinaus von Bedeutung
sein könnten.
Interessantes, Merkwürdiges und Nachdenkliches,
gesammelt von Dietrich W. Thielenhaus
Lieferketten
Der Krieg in der Ukraine zieht
politisch und wirtschaftlich immer
weitere Kreise. Die Welthandelsorganisation
WTO geht davon
aus, dass die Weltwirtschaft 2022
deutlich weniger wachsen wird als
angenommen. Davon dürfte die
im hohen Maße exportabhängige
deutsche Industrie besonders stark
betroffen werden. Der bereits rückläufige
Auftragseingang bereitet
den Unternehmen ebenso Kopfschmerzen
wie die anhaltende Störung
der internationalen Lieferketten,
zunehmende Zahlungsausfälle
sowie eklatante Preiserhöhungen
bei Energie und Transport. Weiter
verschärft wird die Gemengelage
durch das Wiederaufflackern der
Pandemie in China, dem größten
Außenhandelspartner der Bundesrepublik.
Im dortigen Finanz- und
Wirtschaftszentrum Shanghai und
in anderen Industriestädten legen
rigide Lockdown-Maßnahmen die
Produktion weitgehend lahm. Die
Europäische Handelskammer in
China schätzt, dass davon derzeit
etwa 30 % des dortigen BIP und
26 % der Bevölkerung betroffen
sind. All das wird nach aller Voraussicht
zu weiteren Belastungen
der Beschaffungsmärkte mit unabsehbaren
Konsequenzen für die
deutschen Importeure, Zwischenhändler
und Verarbeiter führen.
Gas-Embargo?
Schon jetzt leidet die deutsche
Wirtschaft unter den Kriegsfolgen
wie kaum eine andere in Europa.
Im Gegensatz zu den anderen
großen Volkswirtschaften ist das
deutsche BIP im vierten Quartal
2021 und im ersten Quartal 2022
weiter geschrumpft. Im März klagten
bereits 80 % der vom ifo-Institut
befragten Unternehmen über
Engpässe und Beschaffungsprobleme.
Gleichwohl rechnen die fünf
führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
für 2022 (noch) mit einem
Wirtschaftswachstum von 2,7 %.
Zur Makulatur würde diese Prognose
allerdings, falls die Gaslieferung
aus Russland durch ein Embargo
kurzfristig ausfallen würde.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft
(IW) erwartet in diesem Fall
einen zweieinhalbjährigen Produktionsstillstand
in weiten Bereichen.
Diese Situation, die das Ende der
Grundstoffproduktion in Deutschland
bedeute, sei nicht mit Kurzarbeitergeld
und Subventionen
zu lösen. Es werde zu „massiven
Auswirkungen auf die Beschäftigung
mit zweieinhalb bis drei Millionen
zusätzlichen Arbeitslosen“
kommen. Das IW bezeichnet ein
solches Embargo als „erheblichen
Eingriff ins deutsche Geschäftsmodell“.
Kein anderes Land in der
Welt würde vergleichbare Risiken
eingehen.
Rekord-Inflation
Die Inflation in Deutschland ist
im März auf den höchsten Stand
seit der Wiedervereinigung gesprungen.
Die Verbraucherpreise
lagen 7,3 % über dem Vorjahresmonat.
Auslöser waren vorrangig
die explodierenden Energiekosten.
So stiegen die Preise für leichtes
Heizöl um – sage und schreibe –
144 %, für Benzin um 47,4 % und
für Erdgas um 41,8 %. Ohne den
Kostentreiber Energie hätte die
Inflationsrate im März „nur“ bei
3,6 % gelegen. Auch in der Euro-
Zone hat die Geldentwertung mit
7,5 % ein Rekordhoch markiert.
Seit seiner Einführung hat der Euro
noch nie zuvor eine derartige Inflationsrate
erreicht. Vor diesem
Hintergrund merkt Bundesbank-
Präsident Joachim Nagel an: „Die
Geldpolitik darf nicht die Gelegenheit
verpassen, rechtzeitig gegenzusteuern.“
Adressat ist die EZB,
die ihre eigentliche Aufgabe, die
Preisstabilität, zunehmend aus
den Augen verloren zu haben
scheint. Als prototypisch für diese
ideologisierte Grundhaltung, die
sich vorrangig an den Interessen
der europäischen Schuldenländer
orientiert, steht die EZB-Direktorin
Isabel Schnabel, die noch im
November 2021 vollmundig verkündet
hat, dass der Höhepunkt
der Inflation erreicht sei. Wenige
Wochen zuvor hatte sich die Finanzwissenschaftlerin
noch in öffentlicher
Medienschelte geübt, als
sie die Inflation als „eher zu niedrig“
einordnete und „unsachliche
Kritik“ an der von ihr verantworteten
Geldpolitik zurückwies. Ein
bekannter Ökonom hat diesen vom
Realitätsverlust geprägten Vortrag
als „eklatantes Beispiel für einen
fachlichen Offenbarungseid der
Sonderklasse“ bezeichnet.
Im „Dämmerschlaf“?
Im „stabilitätspolitischen Dämmerschlaf“
sieht Malte Fischer, Chefvolkswirt
der „Wirtschaftswoche“,
die EZB. Obwohl die Inflation in einigen
Euro-Ländern bereits zweistellig
sei, wolle die Zentralbank
offenbar weiter abwarten, wie
sich die Preise und Konjunktur entwickeln,
bevor sie über die Zinsen
entscheide. Das zeige das Protokoll
der EZB-Ratssitzung vom März, bei
dem sich die „geldpolitischen Tauben“
mit ihrer zaudernden Haltung
durchgesetzt hätten. Man könne
sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass den Frankfurter Notenbankern
der Ukraine-Krieg als Ausrede
für ihr ostentatives Nichtstun
zupasskomme. Und das, obwohl
sie per Gesetz verpflichtet seien,
die Preise zu stabilisieren, nicht
die Konjunktur. Setze die EZB ihren
stabilitätspolitischen Dämmerschlaf
fort, um den hoch verschuldeten
Südländern weiter niedrige
Finanzierungskosten zu sichern,
dürfte der Zinsabstand zwischen
Amerika und Euroland deutlich zunehmen
und den Wechselkurs des
Euro auf Talfahrt schicken. Das verteuere
die Importe und beschleunige
die Inflation auf dem Kontinent.
Malte Fischer weiter: „Die flagrante
Missachtung ihres gesetzlichen
Auftrags durch die EZB ist nicht
nur ein Ärgernis ersten Ranges für
die um ihre Kaufkraft bangenden
Bürger. Sie zerstört auch das Vertrauen
in die Notenbank und den
Euro, der unter der Ägide der von
den Südländern dominierten EZB
zur Lira des 21. Jahrhunderts zu
werden droht.“ Und der Publizist
Gabor Steingart bringt seine Sicht
der Dinge so auf den Punkt: Die
EZB nehme bei ihrer lockeren Geldpolitik
billigend in Kauf, dass die
Vermögen der Sparer dahinschmelzen
– zum Wohle der Banken im
Süden Europas.
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